Grass hat sich zur Nah-Ost-Krise geäußert. Er hat seinem Text eine graphische Gestalt gegeben, die ihn wie ein Gedicht aussehen lässt. Als „Gedicht“ hat ihn die Süddeutsche Zeitung (und zwei andere europäische Zeitungen) abgedruckt. All das, meine ich, ist gut möglich – was ein „Gedicht an sich“ ist, weiß ich auch nicht. Außer dem Zeilenschnitt und der Gruppierung der Zeilen zu Strophen spricht in diesem Fall auch die Tatsache für ein „Gedicht“, dass sein Verfasser Nobelpreisträger für Literatur ist. Allerdings, eine rhythmische Dynamik, eine bildlich-szenische Energie, ein das Ganze bündelnder metaphorischer Einfall oder (was sich bei argumentierenden Kurztexten anbietet) eine lakonische Prägnanz – all das hat das Gebilde nicht.
Eben diese Umstände, was der Text herzeigt und was ihm fehlt, geben ihm eine charakteristische Wirkung, er funktioniert wie eine Wippe: „Wenn ihr, meine Leser, das Argument kurzschlüssig findet, denn habt wenigsten Ehrfurcht vor dem Gedicht (Achtung -Kunst!), wenn ihr aber das Gedicht nicht sehen könnt, dann habt wenigstens Respekt vor dem Argument! Schließlich ist der Autor nicht nur Dichter, sondern auch (politischer) Denker!“
Drei Anmerkungen des Verfassers:
1. Ich schätze einige Werke von Günter Grass sehr: vor allem die „Blechtrommel“ und „Katz und Maus.“, seinen politischen Engagements habe ich oft zugestimmt. 2. Dass er sich jetzt zu einer Attitüde der Selbsterhöhung („Ich… ich…“) aus Anlass einer komplex-verfahrenen weltpolitischen Frage versteigt, ist bedauerlich; er hätte die „letzte Tinte“ besser dazu genützt, das zu tun, was er am besten kann: erzählen! 3.Die folgende Anekdote gilt nur dem hier angesprochenen „Gedicht“, nicht Günter Grass: Im antiken Athen gab es einmal einen Sänger, der sich selbst auf der Lyra begleitete; als das nicht sehr gut herüberkam, sagten die Athener: „Na ja, gut zu singen, haben die Götter ihm nicht gegeben, aber schlecht die Leier zu spielen, haben sie ihm immerhin gegeben.“
D. K.